Die unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinien der Europäischen Union in Polen



Der Grundsatz der unmittelbaren Anwendbarkeit ermöglicht es Einzelnen, sich unmittelbar vor einem nationalen Gericht auf eine EU-Rechtsvorschrift zu berufen. Solche Vorschriften werden im Völkerrecht auch als "self-executing" bezeichnet. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass es keiner weiteren Umsetzungsakte bedarf, um festzustellen, welche Ansprüche aus der Richtlinie bestehen, weil sich der Inhalt der Regelungen bereits vollständig der Richtlinie entnehmen lässt.

Richtlinie der EU

Nach Art. 288 Abs. 3 AEUV ist die Richtlinie für die Mitgliedstaaten verbindlich, überlässt es jedoch diesen, die Form und Mittel auszuwählen, die sie für die Erreichung des Zieles als geeignet ansehen.

Die unmittelbare Wirkung des EU-Rechts wurde vom Gerichtshof mit dem Urteil in der Rechtssache Van Gend en Loos vom 5. Februar 1963 bestätigt. In diesem Urteil entscheidet der Gerichtshof, dass das EU-Recht nicht nur Pflichten für die Mitgliedstaaten, sondern auch Rechte für die Einzelnen mit sich bringt. Die Einzelnen können somit diese Rechte für sich geltend machen und sich unmittelbar vor nationalen oder europäischen Gerichten auf EU-Rechtsvorschriften berufen. Dazu ist es also nicht erforderlich, dass der Mitgliedstaat die betreffende EU-Rechtsvorschrift in seine nationale Rechtsordnung übernimmt.

Grundsätzlich bedürfen die Richtlinien der Europäischen Union einen Umsetzungsakt. Es handelt sich also um die Umsetzung der Richtlinie in innerstaatliches Recht.

Die Umsetzungspflicht der Mitgliedstaaten umfasst eine genaue und fristgerechte Umsetzung. Die Mitgliedstaaten müssen diejenige innerstaatliche Handlungsform wählen, die für die Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts am besten geeignet ist.

Es ist aber auch möglich, dass einzelne Bestimmungen von Richtlinien unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne Umsetzung in nationales Recht unmittelbare Wirkung in den Mitgliedstaaten entfalten können. So hat der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung festgelegt, dass eine Richtlinie eine unmittelbare Wirkung hat, wenn sie:
- nicht fristgerecht bzw. nicht ordnungsgemäß umgesetzt worden ist
- inhaltlich unbedingt und
- hinreichend bestimmt ist

Wird also eine Richtlinie nicht fristgerecht oder nicht ordnungsgemäß umgesetzt, kann sie dennoch unmittelbar wirken und von Behörden angewendet werden. Dazu muss die Richtlinienbestimmung inhaltlich so genau und konkret gefasst sein, dass sie sich zu einer unmittelbaren Anwendung eignet und sie darf keine unmittelbare Verpflichtung für einen Einzelnen beinhalten (die Richtlinien sind an die Mitgliedstaaten der Europäischen Union gerichtet. Sie beinhalten sehr oft Verpflichtungen für Einzelne aber sie sind nicht unmittelbar, direkt an die Einzelnen gerichtet, sondern an die Staaten, die durch Umsetzungsakte weitere Subjekte verpflichten können). Daher ist eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien unter Privaten nicht möglich. 

Die inhaltliche Unbedingtheit und hinreichende Bestimmtheit einer Richtlinienbestimmung ist auch dann gegeben, wenn die Richtlinienbestimmung den Mitgliedstaaten ausdrücklich ein Wahlrecht bei der Ausgestaltung zugesteht, zugleich aber einen zwingenden Mindeststandard oder Ermessensgrenzen für die Ausübung des Wahlrechts vorgibt (EuGH vom 24.10.1996, Rs. C-72/95 Kraijeveld, Slg. 1996, I-5403).

Wenn die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, sind die Einzelnen berechtigt, sich vor einem nationalen Gericht gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen zu berufen, wenn der Staat die Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in nationales Recht umgesetzt hat.

Liegen die Voraussetzungen für eine unmittelbare Wirkung der Richtlinie nicht vor, hat dies nicht zur Folge, dass richtlinienwidriges nationales Recht nicht angewandt werden darf. Das Gemeinschaftsrecht enthält keinen Mechanismus, der es dem nationalen Gericht erlaubt, von einer Vorschrift einer nicht umgesetzten Richtlinie abweichende nationale Vorschriften zu eliminieren.

Die Gerichte sowie die nationalen Behörden haben auf jeder Ebene die betreffende Richtlinienbestimmung als geltendes Recht zu beachten. Der Einzelne braucht sich nicht auf die unmittelbare Anwendbarkeit berufen, da sie von Verwaltungen und Gerichten von Amts wegen zu beachten ist.