Untersuchungshaft in Polen – Übersicht



Die Untersuchungshaft (pol. tymczasowe aresztowanie – vorläufige Haft) ist der schwerste Eingriff in die Freiheitsrechte noch nicht rechtskräftigt verurteilten Beschuldigten und dient dem Zweck, den Ablauf des Strafverfahrens und die spätere Vollstreckung eines auf Freiheitsstrafe lautenden Urteils sicherzustellen. Sie ist in den Artikeln 257-265 polStPO geregelt und wird auf Antrag des Staatsanwalts durch das Gericht angeordnet. Die Anwendung dieser Vorbeugungsmaßnahme besteht darin, dass dem noch nicht rechtskräftig verurteilen Angeklagten die Freiheit entzogen wird. Daher gibt es strenge Anforderungen an die Anwendung der Untersuchungshaft durch den Richter. Die Untersuchungshaft ist gegenüber anderen Vorbeugungsmaßnahmen subsidiär. Das bedeutet, dass sie nur dann angeordnet werden kann, wenn eine andere mildere Maßnahme nicht ausreichend ist, Art. 257 §1 polStPO.

Die Untersuchungshaft beginnt grundsätzlich mit der Festnahme durch die Polizei. Danach wird die Staatsanwaltschaft informiert, damit sie einen Antrag auf Anordnung der Untersuchungshaft beim zuständigen Gericht einreicht. Dieser Prozess darf bis höchstens 48 Stunden dauern. Danach entscheidet das Gericht innerhalb von nächsten 24 Stunden über die Anwendung der Untersuchungshaft oder Entlassung des Vernommenen. 

Um die Untersuchungshaft anordnen zu dürfen, müssen zwei allgemeine und ein besonderer Grund vorliegen. Die allgemeinen Gründe richten sich nach Art. 249 §1 polStPO und sind für die Anwendung jeder Vorbeugungsmaßnahme erforderlich. Danach ist ihre Anordnung nur dann zulässig, wenn:

die Maßnahme der Vorbeugung der Begehung einer neuen, schweren Straftat durch den Beschuldigten oder der Gewährleistung des ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs dient
hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Beschuldigte die Straftat begangen hat

Außer diesen allgemeinen muss auch eine der besonderen Voraussetzungen vorliegen. Diese sind in Art. 258 §1-3 polStPO enthalten:

- es besteht eine begründete Gefahr, dass der Beschuldigte flüchten oder sich verstecken wird
- es besteht eine begründete Gefahr, dass der Beschuldigte zu falschen Aussagen und Erklärungen anstiften wird oder auf eine andere rechtswidrige Art und Weise Maßnahmen zur Erschwerung des Strafverfahrens treffen wird
- wenn dem Beschuldigten die Verhängung einer strengen Strafe droht
- wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Beschuldigte, dem die Begehung eines Verbrechens oder eines vorsätzlichen Vergehens zu Last gelegt wird, eine Straftat gegen Leib und Leben, gegen die Gesundheit oder die öffentliche Sicherheit begehen wird, insbesondere wenn er mit Begehung einer solchen Tat gedroht hat.

Die Fluchtgefahr besteht mit höheren Wahrscheinlichkeit, dass sich der Beschuldigte dem Strafverfahren entziehen und sich für den Prozess nicht zur Verfügung halten wird. Die Fluchtgefahr muss sich aus bestimmten Tatsachen ergeben. In der Rechtsprechung wird die Erfüllung dieser Voraussetzung angenommen, wenn sich der Beschuldigte auf die Flucht bereits vorbereitet bzw. sich der Justiz zuvor nicht gestellt hat oder wenn sich Tatsachen ergeben, die darauf hinweisen, dass er mittels gefälschter Dokumente ins Ausland fliehen wird. Die Fluchtgefahr besteht grundsätzlich auch dann, wenn die Identität des Beschuldigten nicht festgestellt werden kann. Unabhängig davon, welche Umstände angenommen werden, muss die Flucht aufgrund bestimmter Tatsachen feststehen. Die Fluchtgefahr kann nicht abstrakt angenommen werden, vielmehr muss der Beschuldigte konkrete Maßnahmen mit dem Vorsatz treffen, sich dem Strafverfahren zu entziehen.

Die Gefahr, dass der Beschuldigte das Strafverfahren erschweren wird, liegt, laut Art. 258 §1 Nr.2 polStPO insbesondere dann vor, wenn eine begründete Befürchtung besteht, dass der Beschuldigte andere Prozessteilnehmer zu falschen Aussagen und Erklärungen anstiften wird. Die Anstiftung der dritten Personen, Unwahrheit auszusagen, mit der Folge, dass die Ermittlung der Wahrheit erschwert wird, ist ein Grund zur Anordnung der Untersuchungshaft. Voraussetzung dafür ist aber, dass konkrete Anhaltspunkte den Verdacht begründen. Bloße Vermutungen reichen nicht aus.

Art. 258 §1 Nr.2 polStPO spricht aber generell von verschiedenerweise rechtswidrigen Maßnahmen, die das Strafverfahren erschweren können. Dazu zählt insbesondere die erwähnte Anstiftung der Dritten; es gibt aber auch andere Handlungen der Beschuldigten, die unter diese Kategorie fallen. Und so zum Beispiel ist das rechtswidrige Einwirken auf Zeugen (psychische Beeinflussung) und Beweismittel (Vernichten, Unterdrücken) mit dem Tatbestand der Vorschrift mitumfasst.

Wenn dem Beschuldigten die Verhängung einer strengen Strafe droht (er beging ein Verbrechen; ein Vergehen, das mit Freiheitsstrafe von mindestens 8 Jahren bedroht ist, oder das Gericht der ersten Instanz den Beschuldigten zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt hat) begründet das die Voraussetzung der Anordnung der Untersuchungshaft zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs. Die strenge Strafaussicht an sich selbst kann die Anordnung der Untersuchungshaft nicht zulassen. Sie eröffnet lediglich die Möglichkeit, die Sicherung des Verfahrensganges durch Untersuchungshaft zu gewährleisten.

Der letzte Haftgrund bezieht sich auf die Gefahr, dass der Beschuldigte weitere Straftaten gegen Leib und Leben, gegen die Gesundheit oder die öffentliche Sicherheit begehen wird. Hier kann man von einer Präventivhaft sprechen. Der Beschuldigte wird verhaftet, weil konkrete Tatsachen die Absicht der Begehung der oben genannten Straftaten belegen. Insbesondere ist es dann der Fall, wenn der Beschuldigte mit Begehung dieser Straftaten gedroht hat.

Art. 259 polStPO enthält sog. negative Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft. Selbst wenn einer der positiven Haftungsgründe vorliegt, kann die Anordnung außer Vollzug gesetzt werden. Die polnische Strafprozessordnung lässt die Außervollsetzung zu, wenn eine andere mildere Vorbeugungsmaßnahme zur Erreichung des Sicherungszweckes ausreichend ist. Damit wird das Subsidiaritätsprinzip der Untersuchungshaft gewahrt.

Weiterhin ist von der Untersuchungshaft abzusehen, wenn sie eine Gesundheits- oder Lebensgefahr des Beschuldigten herbeiführen könnte, für ihn oder seine nächsten Familienangehörigen besonders schwere Folgen haben könnte, oder wenn es zu erwarten ist, dass das Gericht eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe verhängen wird oder wenn die verhängte Freiheitsstrafe die Dauer der Untersuchungshaft unterschreiten wird.

Die Untersuchungshaft wird nur für eine befristete Zeit verhängt. Laut 263 § 1 polStPO bestimmt das Gericht deren Dauer, die den Zeitraum von drei Monaten nicht überschreiten darf. Diese Frist kann aber in Ausnahmefällen verlängert werden, so dass sie insgesamt 12 Monate nicht überschreitet. Die gesamte Dauer der Untersuchungshaft darf aber zwei Jahre nicht überschreiten.

Gegen die Anordnung der Untersuchungshaft, also gegen den gerichtlichen Beschluss, kann der Beschuldigte eine Beschwerde einlegen.  Die Beschwerde ist, innerhalb 7 Tagen, bei dem Gericht anzubringen, das den angefochtenen Beschluss erlassen hat.